MEMORIAL FÜR IRÈNE SCHWEIZER
ABSCHIED UND ERINNERUNG
4. November 2024 - Weisser und Blauer Saal Volkshaus Zürich
Der 4. November stand ganz im Zeichen der Erinnerung an Irène: Zuerst die Filmvorführung IRÈNE SCHWEIZER (CH 2005) in Zusammenarbeit mit RECK Filmproduktion und in Anwesenheit der Regisseurin Gitta Gsell im Kino Xenix. Dann die Einweihung der Gedenktafel am Haus, in dem Irène wohnte, an der Feldstrasse 41 in Zürich. Die Tafel gestiftet hat Walter Nenniger. Danke an die Hauseigentümer*innen Clara Buntin und Thomas Wachter sowie an die Nachbarin Nikola Weisse und die Apéro-Künstlerin Margareta Peters.
Am Abend dann die Konzerte mit Maggie Nicols, Rüdiger Carl, Günter Baby Sommer, Co Streiff, Sylvie Courvoisier, Lucas Niggli, Sarah Chaksad, Katharina Weber, Omri Ziegele & Yves Theiler, Hamid Drake und La Lupa. Reden von Rosina Kuhn, Suzanne Dietler, Anja Illmaier und Urs Röllin. Durchs Programm führten Annina Salis und Patrik Landolt.
Abschiedsworte von Corine Mauch; Stadtpräsidentin Stadt Zürich
Liebe Jazzfans, liebe Freundinnen und Freunde von Irène, Liebe Alle, die ihr Abschied nehmen und euch an eine grossartige Frau erinnern wollt
Physisch kann ich heute leider nicht bei euch sein. Während diese Nachricht euch erreicht, fahre ich im Nachtzug von Berlin nach Zürich. Ihr könnt aber sicher sein, meine Gedanken sind bei euch. Bei euch und vor allem auch bei der fantastischen Frau, derentwegen ihr euch heute versammelt habt. Die bedeutendste europäische Free-Jazz-Pianistin, eine Ikone der Schweizer LGBTIQ+-Bewegung – eine Frau, der ich, der wir, so viel zu verdanken haben. Obwohl sie eine international erfolgreiche Künstlerin war, war sie sich nie zu schade, auch auf kleinen Bühnen aufzutreten, und es war ihr wichtig, auch anderen eine Bühne zu bieten.
Die Nachricht von Irènes Tod hat mich sehr traurig gemacht. Ich durfte Sie bereits in den 1990er Jahren kennenlernen. Ich arbeitete eine Zeit lang in einem Bio-Laden hier in Zürich im Kreis 4, wo sie um die Ecke wohnte und bei uns einkaufte. Seither haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt. Und es waren immer anregende und inspirierende Begegnungen mit einer Freundin.
Ich behalte Irène als eine wundervolle Musikerin in Erinnerung, als grosse Botschafterin und Unterstützerin des Jazz und der Musikstadt Zürich und als bewundernswerte, starke, bodenständige und engagierte Frau, die dezidierte Haltungen vertrat und für diese einstand.
Irène, du fehlst.
Rede von Suzanne Dieter, Freundin
Liebe Irène
Vor drei Jahren, an deinem 80. Geburtstag, hast du gesagt: «Es geht nicht um mich, es geht um die Musik». Heute, liebe Irène, geht es um dich und um deine Musik. Und ich wünschte mir, du wärst mit uns dabei, wenn wir dich feiern.
Es war eine spannende feministische Zeit, als wir uns vor knapp 50 Jahren kennen lernten. Wir wohnten im selben Haus, und wenn wir in unserer Frauen-WG wilde Pläne und Aktionen diskutierten, bist du dazugekommen und hast uns meist etwas belustigt, manchmal achselzuckend, aber immer wohlwollend dabei zugehört. Dein trockener Humor und deine Gradlinigkeit haben uns begleitet und unterstützt.
Liebe Irène, es war eine unaufgeregte, alltägliche Freundschaft, die uns beide verband. Viel reden waren nicht deine Stärke. Und Improvisation im Alltag auch nicht. Dir waren fixe Gewohnheiten lieber.
Du warst weltberühmt – aber hattest nie Starallüren.
Du warst bescheiden – ohne dein Licht unter den Scheffel zu stellen.
Du warst eigenwillig, sperrig, liebenswert, treu – und voller Schalk.
Du hast Menschen zusammengebracht und Freundschaften sind durch dich entstanden... nie hast du dich dabei ins Zentrum gestellt.
Kurz vor der Feier zu deinem 80. hast du mir gestanden, dass Deine Hände nicht mehr machten, was dein Kopf will und du darum nicht spielen werdest. Nach all den Reden und musikalischen Ehrungen hast du dich, zu unser aller Erstaunen, doch nochmals an den Flügel gesetzt: nach einem unverkennbaren, kurzen und heftigen Einstieg spieltest Du ein wundervolles Stück aus Deinem südafrikanischen Repertoire. Ein paar Tage später hast Du den Meinungswechsel so begründet: «Ja! Ich fand, es geht ja nicht um mich, es geht um die Musik».
Wir Freundinnen: Monique – deine letzte Lebens Partnerin, – Rosmarie, Ruth, Beatrice, Judith und ich haben dich in den letzten drei Jahren oft im Alters- und Pflegeheim besucht. Es waren schöne, berührende, oft unerwartet lustige Begegnungen
Ich verabschiede mich von dir mit denselben Worten, mit denen du mich bis fast ans Ende deines Lebens nach den Besuchen verabschiedet hast:
CIAO BELLA!
Du fehlst uns
Rede von Anja Illmaier, Intakt Records & Taktlos Festival
Ich muss ehrlich gestehen, als ich 2010 bei Intakt Records begonnen habe zu arbeiten, da kannte ich Irène Schweizer nicht wirklich. Schnell wurde mir aber bewusst, wie wichtig sie für viele Musiker*innen und für die Schweizer und weltweite Jazzszene ist.
Doch wer war Irène für mich persönlich? - Ich würde es vielleicht so umschreiben, dass sie für mich eher eine Art Tante war, die unerwartet in meinem Leben auftauchte und mit der sich über die Jahre eine ganz eigene Freundschaft entwickelte. Wir sahen uns manchmal nach der Arbeit, damit ich ihr bei kleinen IT-Problemchen helfen konnte, oder genossen einen Apero bei ihr auf dem Balkon Gerne gingen wir auch mal zusammen Abendessen im Kreis 4 oder ich holte sie für einen gemeinsamen Konzertbesuch ab oder begleitete sie an eines ihrer Konzerte.
Was mir besonders in Erinnerung blieb sind die Abende in New York, als wir von Intakt aus das Festival im legendären Jazzclub Stone veranstalteten. Jeweils nach den Konzerten kurz vor Mitternacht schlenderten Monique, Irène und ich zum nächsten Take-Away um die Ecke und schnappten uns dort einen Slice Pizza. Dies war für mich, die das erste Mal in NYC, war, ein Highlight - mehr New York ging nicht - da sass ich nun mit der herausragenden Jazz-Pianistin Irène Schweizer und wir assen eine eher schlechte Pizza Margeritha mit Knoblauch- oder Chilipulver verfeinert.
Wohl hatte ich das Glück, Irène auf eine ganz eigene Art kennenzulernen und dafür bin ich dankbar - für die vielen schönen Erinnerungen und die gemeinsamen Erlebnisse in Zusammenhang mit der Musik. Hier im Kreis 4 sind diese Erinnerungen besonders stark - da ein Winken von der anderen Strassenseite, dort ein gemeinsames Nachtessen oder ein Kafi, und dann auch mal einen Slice Pizza, wenn auch diese nie mehr so gut waren wie jene in New York…
Rosina Kuhn, Freundin und Malerin
Vor allem während dem Zusammenspiel in den Aufführungen, den Performences, war ich Irène nahe und spürte ihre Genialität und ihre Liebe zu ihrer kunst, ja ihren Humor, der da manchmal durchblitzte, und ihre Grosszügigkeit.
Die Aufführungen fanden vor allem in den Siebziger-und Achziegerjahren statt. Irène Schweizer, Klavier und Rosina Kuhn, Malerei. In absoluter Konzentration, die Irène, sobald sie am Flügel sass, ausstrahlte. wartete ich gespannt auf das Beginnen, um dann zusammen mit ihr ins Abenteuer zu stürzen. In hellen Kaskaden, einer fast stillen Melodie oder in rollenden afrikanischen Rhytmen, immer wieder anders und immer unvermutet war da plötzlich ein Anfang. Trotz dem Ungestüm und der Wildheit blieb Irène die Architektin ihres Vorhabens, das wuchs und sich aufbaute und ausbreitete. Dabei wurde ich wie auf Samt gebettet und hatte alle meine Freiheiten. Irène vergass ihre Kollegen und Mitstreiter nie und gab ihnen Raum. Ich liess mich von Ihren Schlagzeug-Rhytmen mitreissen: da waren die schwarzen Gruppen der Hiebe und Peitschenpinsel. Sie bewegte sich in grossen Schwüngen voran, liess Rot und Blau hinter sich und raste durch aufspritzendes Gelb.
Einmal wurde es ihr zu bunt. „Immer wenn das Konzert fertig ist , sind da Deine Bilder und die Musik ist verschwunden.“ Bei der nächsten Aufführung malte ich auf Plastik. Die Farben rollten unaufhörlich in Strömen herunter, es entstanden grosse schwarze Seen und der Plastik blieb weiss! Ich sah plötzlich wie Irène einen Moment lang in der Luft Klavier spielte und dabei verschmitzt lachte.
Urs Röllin, Jazzfestival Schaffhausen
Hallo zusammen und herzlich willkommen von meiner Seite. Ich möchte mich herzlich bei Irène bedanken. Sie bedeutete mir sowohl als Person als auch als Musikerin sehr viel, und ihre Musik bleibt mein persönlich hochgeschätzter Schatz.
Beim Schaffhauser Jazzfestival war Irène bis zuletzt Beirätin und hat keine einzige Sitzung ausgelassen. Wir werden sie in Ehren als Ehrenmitglied in memoriam bei uns behalten.
Ein herzliches Dankeschön an die Organisatorinnen und Organisatoren dieses Gedenkanlasses für die Einladung, die es mir ermöglicht, das Schaffhauser Jazzfestival sowie Schaffhausen, Irènes Heimatstadt, hier zu vertreten.
Wie großartig Irènes musikalisches Schaffen, ihr soziales Engagement und ihr Einsatz für Gerechtigkeit war, ist allgemein bekannt. Erst gestern habe ich den wunderbaren Film von Gitta Gsell noch einmal auf Play SRF angeschaut und war erneut begeistert. Allerdings hat mich eine Kleinigkeit stutzig gemacht: Oben links leuchtet ein gelbes Quadrat, und in der Legende steht der Hinweis »Begleitung durch Erwachsene empfohlen!« – Das verstehe ich nicht.
Ähnlich irritiert war ich von einer persönlichen Geschichte aus den frühen 80er Jahren, nach meinem ersten Konzertbesuch von Irène zusammen mit Pierre. Ich erinnere mich noch genau, wie ich am darauffolgenden Tag bei der Familie meiner Freundin am Sonntagstisch saß und begeistert vom Konzert erzählte. Ich war empört darüber, dass Irène als weltbekannte Schaffhauser Künstlerin in ihrer Heimatstadt nahezu unbekannt war. Die Mutter meiner Freundin, selbst aktive Kirchenorganistin, erzählte abfällig, wie sie über Irène im Landhaus gewohnt habe und sich immer anhören musste, wie Irène geübt habe. »Hundertmal hat sie die Melodien gespielt und immer wieder Fehler gemacht. Melodien, die ich selbst schon nach dreimal Hören memoriert hätte.«
Diese Sonntagsdiskussion hat mich nicht mehr losgelassen und mich als Musiker nachhaltig geprägt. Zum einen habe ich erkannt, wie unterschiedlich Musik Menschen erreichen kann, und gleichzeitig ist in mir die Gewissheit gewachsen, dass Musikmachen auch bedeutet, etwas für deren Zugänglichkeit zu tun. So reifte in mir die Überzeugung, dass die Schweizer Jazzszene eine Bühne braucht. Einen Treffpunkt zum Austausch, ein Schaufenster, eine Plattform für die Szene. Ein paar Jahre später, 1990, bei der Gründung des Schaffhauser Jazzfestivals zusammen mit Hausi Naef, war uns klar, dass wir diese Werkschau für Irène und die Szene um sie herum aufbauen wollten. Irène sollte alle fünf Jahre einen Auftritt bekommen, um so ihre Entwicklung sichtbar zu machen – und das haben wir bis zu ihrem 75. Geburtstag konsequent durchgeführt.
Die Quintessenz daraus könnte ein Appell, ein Vermächtnis von Irène an uns alle sein: Die Förderung einer ganzheitlichen Wahrnehmung, das Zuhören, das Achten auf die Musik um uns herum, die Klänge der Natur und der Menschen.
„We can make people dance – give live music a chance – keep Irène alive!“ - Vielen Dank
Ein Dank für die finanzielle Unterstützung geht an